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Der Weg zur biologischen Sicherheit von Medizinprodukten

In diesem Blog-Beitrag widmen wir uns der biologischen Beurteilung von Medizinprodukten, einem entscheidenden Prozessschritt zur Sicherstellung von Biokompatibilität und Patientensicherheit. Der Beitrag führt durch die Grundlagen der Biokompatibilität, beleuchtet die Anforderungen der MDR und erläutert die bedeutende Rolle der umfassenden Normenreihe EN ISO 10993, die aus vielen Teilen besteht und unterschiedliche Aspekte der biologischen Sicherheit behandelt. Der wichtigste und grundlegendste Teil ist die EN ISO 10993-1, die die allgemeinen Anforderungen und Vorgehensweisen für die biologische Bewertung festlegt.

Darüber hinaus bieten wir einen detaillierten Einblick in die neuesten Änderungen der Norm sowie die strategischen Schritte zur Testplanung und Risikobewertung. Der Beitrag zeigt auf, wie eine moderne Teststrategie unter Berücksichtigung von Materialcharakterisierung und alternativen Methoden zur Tierversuchsreduktion aussehen kann und gibt praktische Hinweise zur lückenlosen Dokumentation im Biological Evaluation Plan (BEP) und Biological Evaluation Report (BER). Unser Ziel ist es, hiermit ein fundiertes Wissen zu vermitteln, um die komplexen Anforderungen der biologischen Bewertung effektiv umzusetzen und gleichzeitig höchste Sicherheitsstandards für Medizinprodukte zu gewährleisten.

Zugrundeliegende Regularien

EU-Verordnung 2017/745 (MDR)

EN ISO 10993-1

1. Einleitung

Biokompatibilität – die Fähigkeit eines Materials, im Kontakt mit dem menschlichen Körper keine negativen Reaktionen auszulösen – ist ein entscheidender Faktor für die Sicherheit von Medizinprodukten. Ob ein Produkt direkt mit Gewebe, Blut oder anderen Körperflüssigkeiten in Berührung kommt oder indirekt auf Organe und Systeme wirkt: Die biologische Sicherheit muss stets gewährleistet sein. Schließlich hängt davon das Wohl der Patient ab. Die Herausforderung für Hersteller besteht darin, sicherzustellen, dass jedes verwendete Material, jede Substanz und jede Kombination der Komponenten keine unerwünschten Wirkungen auf den menschlichen Organismus hat. Dies schließt nicht nur direkte physikalische Interaktionen ein, sondern auch chemische Wechselwirkungen, die durch Abbauprodukte oder Veränderungen im Körper entstehen können. Auch die Sicherheit bei wiederholter Anwendung spielt eine wichtige Rolle, da einige Produkte über längere Zeiträume mit dem menschlichen Körper in Kontakt bleiben.

Die Medizinprodukteverordnung (MDR) hat hierfür strenge Anforderungen formuliert, die Hersteller verpflichten, umfassende biologische Bewertungen vorzunehmen und sorgfältig zu dokumentieren. In Anhang I, Punkt 10.2, werden die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen spezifiziert, die jedes Medizinprodukt erfüllen muss, um eine sichere Anwendung zu gewährleisten. Anhang II, Punkt 6.1 fordert zudem eine lückenlose Dokumentation der biologischen Beurteilung als Teil der technischen Dokumentation.

„Die Produkte werden so ausgelegt, hergestellt und verpackt, dass die Risiken durch Schadstoffe und Rückstände für Patienten — unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Produkts — sowie für Transport-, Lager- und Bedienungspersonal so gering wie möglich gehalten werden. Dabei wird Geweben, die diesen Schadstoffen und Rückständen ausgesetzt sind, sowie der Dauer und Häufigkeit der Exposition besondere Aufmerksamkeit gewidmet.“ (MDR Anhang I, Absatz 10.2)

„Detaillierte Informationen zum Testaufbau, vollständige Test- oder Studienprotokolle, Methoden der Datenanalyse, zusätzlich zu Datenzusammenfassungen und Testergebnissen, insbesondere hinsichtlich der Biokompatibilität des Produkts einschließlich der Identifizierung aller Materialien in direktem oder indirektem Kontakt mit dem Patienten oder Anwender […].“ (MDR Anhang II, Absatz 6.1)

2. Die Norm EN ISO 10993-1

Die EN ISO 10993 ist die Basisnorm einer umfassenden Normenreihe zur biologischen Beurteilung von Medizinprodukten, die aus vielen spezifischen Teilen besteht, die jeweils verschiedene Aspekte der Biokompatibilität abdecken. Der wichtigste und grundlegendste Teil dieser Normenreihe ist die EN ISO 10993-1, die die allgemeinen Anforderungen und Vorgehensweisen für die biologische Bewertung festlegt. Diese Norm spielt eine wesentliche Rolle im Zulassungsprozess, da sie Herstellern klare Vorgaben gibt, wie potenzielle biologische Risiken zu identifizieren, zu minimieren und zu dokumentieren sind. Die Einhaltung der EN ISO 10993-1 ist daher oft eine Grundvoraussetzung, um die Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR zu erfüllen.

Mit der neuen Version der EN ISO 10993-1:2020 wurden einige Änderungen und Ergänzungen eingeführt, um die Bewertung noch präziser und sicherer zu gestalten. Besonders betont wurde die Notwendigkeit eines integrierten Risikomanagements, das nicht nur die chemische Zusammensetzung des Produkts, sondern auch mögliche Langzeitwirkungen und Abbauprodukte im Körper berücksichtigt.

Eine weitere, aktualisierte Version der EN ISO 10993-1 befindet sich derzeit im Entwurf und bringt bedeutende Neuerungen mit sich, die den Prozess der biologischen Beurteilung noch umfassender und spezifischer gestalten sollen. Zu den Änderungen gehören neue Formulierungen und präzisere Definitionen, die eine einheitlichere Interpretation sicherstellen sollen. Zudem wird ein zusätzlicher Abschnitt eingeführt, der spezielle Anforderungen für den gesamten Lebenszyklus eines Produkts beschreibt, was eine ganzheitlichere Betrachtung der biologischen Sicherheit unterstützt.

Die Norm selbst verfolgt das Ziel, Herstellern ein strukturiertes Verfahren zur biologischen Beurteilung zu bieten, das alle relevanten Aspekte der Biokompatibilität abdeckt. Der Anwendungsbereich umfasst dabei alle Medizinprodukte, die in direkten oder indirekten Kontakt mit dem menschlichen Körper kommen – von Hautkontakt über implantierbare Produkte bis hin zu Produkten, die in den Blutkreislauf gelangen. Zu den wichtigen Begriffen und Definitionen gehören daher zentrale Konzepte wie Biokompatibilität, Risikoanalyse und Materialverträglichkeit, die eine einheitliche Sprache und einheitliche Prüfstandards sicherstellen.

Die Grundprinzipien der EN ISO 10993-1 basieren auf einem risikobasierten Ansatz: Zunächst wird das Produktdesign analysiert, um den potenziellen Kontakt mit dem Körper und die Materialzusammensetzung zu bewerten. Daraufhin werden, je nach Risikoprofil, spezifische biologische Prüfungen festgelegt – von Zytotoxizität über Sensibilisierung bis hin zu Langzeittests. Diese strukturierte Vorgehensweise unterstützt Hersteller dabei, alle biologischen Risiken systematisch zu identifizieren und zu minimieren, um die Sicherheit des Produkts über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg zu gewährleisten.

3. Biologische Bewertung und Teststrategie

Die biologische Bewertung und Teststrategie für Medizinprodukte ist ein strukturierter Prozess, der die Sicherheit und Biokompatibilität eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg sicherstellen soll. In der EN ISO 10993-1 ist dieses systematische Vorgehen zur biologischen Bewertung in Abbildung 1 übersichtlich dargestellt.

Abbildung  1: Systematisches Vorgehen zur biologischen Bewertung (Nach Bild 1 aus EN ISO 10993-1)

Ein zentraler Aspekt der biologischen Bewertung ist mittlerweile die Materialcharakterisierung gemäß der EN ISO 10993-18. Durch die detaillierte physikalisch-chemische Charakterisierung der Materialien und ihrer potenziellen Abbauprodukte können bereits viele Risiken erkannt und frühzeitig minimiert werden. Dies reduziert die Notwendigkeit von umfangreichen in-vivo-Tests und unterstützt den Einsatz alternativer Prüfmethoden.

In Anhang A der EN ISO 10993-1 werden spezifische biologische Endpunkte beschrieben, die je nach Art und Anwendung des Medizinprodukts evaluiert werden müssen. Dabei wird das Produkt zunächst einer Kategorie zugeordnet:

  • Medizinprodukte, die nur mit der Körperoberfläche in Kontakt kommen,
  • Produkte, die extern mit dem Körperinneren in Kontakt treten
  • Implantierbare Medizinprodukte

Außerdem wird der Kontakt bestimmt:

  • Medizinprodukte, die nur mit der Körperoberfläche in Kontakt kommen:
    • Intakte Haut
    • Schleimhaut
    • Verletzte oder geschädigte Hautparien
  • Produkte, die extern mit dem Körperinneren in Kontakt treten
    • Blutgefäßsystem, indirekt
    • Gewebe/Knochen/Dentin
    • Zirkulierendes Blut
  • Implantierbare Medizinprodukte
    • Gewebe/Knochen
    • Blut

und die Kontaktdauer festgelegt, die in die Stufen A (≤24 h), B (>24 h to 30 d) und C (>30 d) eingeteilt ist.

Diese detaillierte Kategorisierung hilft dabei, eine spezifische Teststrategie für jedes Produkt festzulegen. Die Wahl der Tests hängt nicht nur von der Art des Kontakts ab, sondern auch von den erwarteten Langzeitwirkungen und den möglichen Risiken durch Abbauprodukte. Eine ausführliche Risikoanalyse kann oft darlegen, dass bestimmte Tests nicht notwendig sind, wodurch unnötige Tierversuche vermieden werden können.

Abbildung  2: Beispiel Tabelle aus Anhang A der EN ISO 10993-1:2020 für Medizinprodukte mit Kontakt zur Körperoberfläche

Diese Endpunkte müssen im Biological Evaluation Report (BER) detailliert evaluiert werden. Dabei bedeutet dies jedoch nicht, dass alle Endpunkte zwangsläufig durch Testungen abgearbeitet werden müssen, wie eine Checkliste. Die EN ISO 10993-1 erlaubt auch die Verwendung bereits vorhandener Daten, wie beispielsweise wissenschaftliche Literatur oder andere validierte Informationen, um bestimmte Endpunkte abzudecken. Auf dieser Grundlage kann begründet werden, warum einige Tests ausgelassen werden können, sofern die vorhandenen Daten den biologischen Sicherheitsnachweis stützen. Damit wird eine zielgerichtete und ressourcenschonende Bewertung ermöglicht, die dennoch alle relevanten Sicherheitsanforderungen erfüllt.

Hierdurch wird eine flexible Bewertung ermöglicht, die sowohl den Anforderungen an die Sicherheit gerecht wird als auch ethische Aspekte berücksichtigt, indem Tierversuche so weit wie möglich minimiert werden. Die Integration von alternativen Testmethoden, wie in-vitro-Verfahren und computerbasierte Simulationen sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen biologischen Bewertung.

4. Dokumentation und Berichterstattung

Ein wesentlicher Bestandteil der biologischen Sicherheitsbewertung von Medizinprodukten ist die sorgfältige Dokumentation, die sicherstellt, dass alle Bewertungs- und Testprozesse nachvollziehbar und transparent festgehalten werden. Zwei zentrale Dokumente spielen hierbei eine wichtige Rolle: der Biological Evaluation Plan (BEP) und der Biological Evaluation Report (BER).

Der Biological Evaluation Plan (BEP) legt die Strategie für die biologische Bewertung des Produkts fest:

  • Produktbeschreibung: Details zu Komponenten, Materialien und Herstellungsverfahren.
  • Verwendungszweck und Kontaktart: Informationen zur beabsichtigten Nutzung und Art des Körperkontakts.
  • Herstellungsprozess: Beschreibung des Herstellungsprozesses und dabei verwendete Hilfsstoffe.
  • Wiederverwendbare Produkte: Informationen zur Reinigung und/oder Sterilisation.
  • Physikalische/chemische Informationen: Bereits vorhandene Daten zur Charakterisierung des Medizinproduktes, der enthaltenen Materialien.
  • Risikobewertung: Identifikation der biologischen Endpunkte.
  • Vorhandene Daten zur Biologischen Sicherheit: Bereits vorhandene biologische Tests.
  • GAP-Analyse: Lückenanalyse, um fehlende Informationen in den aktuellen Sicherheitsdaten zu ermitteln.
  • Teststrategie: Auswahl und Begründung der notwendigen Tests, inklusive physikalisch-chemischer Charakterisierung gemäß EN ISO 10993-18 (falls noch nicht vorhanden).

Der Biological Evaluation Report (BER) dokumentiert die Durchführung und Ergebnisse der Bewertung und enthält:

  • Produktbeschreibung: Details zu Komponenten, Materialien und Herstellungsverfahren.
  • Verwendungszweck und Kontaktart: Informationen zur beabsichtigten Nutzung und Art des Körperkontakts.
  • Herstellungsprozess: Beschreibung des Herstellungsprozesses und dabei verwendete Hilfsstoffe.
  • Wiederverwendbare Produkte: Informationen zur Reinigung und/oder Sterilisation.
  • Physikalische/chemische Informationen: Bereits vorhandene Daten zur Charakterisierung des Medizinproduktes, der enthaltenen Materialien.
  • Risikobewertung: Identifikation der biologischen Endpunkte.
  • Material- und Produktcharakterisierung: Details der physikalisch-chemischen Charakterisierung und Testergebnisse.
  • Testergebnisse: Beschreibung der Tests, Ergebnisse und Interpretation von In-vitro- und In-vivo-Tests, einschließlich Zytotoxizitätstests.
  • Schlussfolgerungen: Gesamte Bewertung der biologischen Sicherheit und Empfehlungen.
  • Festlegung der weiteren Schritte: Falls zusätzliche Tests oder Bewertungen erforderlich sind.

5. Fazit

Die biologische Beurteilung von Medizinprodukten ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess, der entscheidend zur Gewährleistung der Patientensicherheit beiträgt. Mit den Anforderungen der MDR und der EN ISO 10993-1 steht den Herstellern ein fundiertes Regelwerk zur Verfügung, das eine strukturierte und risikobasierte Bewertung ermöglicht. Die Materialcharakterisierung gemäß EN ISO 10993-18 sowie die klar definierten biologischen Endpunkte helfen, Risiken frühzeitig zu identifizieren und gezielt zu adressieren. Die systematische Vorgehensweise, unterstützt durch präzise Kategorisierung von Kontaktart und -dauer, stellt sicher, dass nur notwendige und relevante Tests durchgeführt werden.

Ein wesentlicher Vorteil des modernen Ansatzes zur biologischen Bewertung liegt in der Flexibilität, vorhandene Daten einzubeziehen und Tests gegebenenfalls durch wissenschaftlich begründete Argumentationen zu ersetzen. Dies ermöglicht nicht nur eine ressourcenschonende, sondern auch eine ethisch verantwortungsvolle Produktbewertung, da die Belastung für Versuchstiere minimiert wird. Die detaillierte Dokumentation im BEP und BER stellt sicher, dass alle Schritte nachvollziehbar sind und die Einhaltung der regulatorischen Vorgaben transparent dokumentiert ist. So schafft die biologische Beurteilung nicht nur Sicherheit für die Patient, sondern stärkt auch das Vertrauen in Medizinprodukte und deren verantwortungsvolle Entwicklung und Zulassung.

6. Wie wir Ihnen helfen können

Bei medXteam unterstützen wir Sie umfassend bei der biologischen Beurteilung Ihrer Medizinprodukte und der Einhaltung der regulatorischen Anforderungen. Dank unserer Expertise in der Analyse und Bewertung klinischer Daten bieten wir Ihnen maßgeschneiderte Lösungen für die Erstellung des Biological Evaluation Plans (BEP) und des Biological Evaluation Reports (BER). Unser Team hilft Ihnen dabei, eine effektive Teststrategie zu entwickeln, die alle relevanten biologischen Endpunkte abdeckt und gleichzeitig den Einsatz von klinischen Daten und wissenschaftlicher Literatur maximiert, um unnötige Tests zu vermeiden.

Wir begleiten Sie durch den gesamten Prozess – von der Materialcharakterisierung nach EN ISO 10993-18 bis hin zur Bewertung und Dokumentation aller biologischen Risiken gemäß MDR. Unsere Experten stehen Ihnen zur Seite, um sicherzustellen, dass Ihre Produkte den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen und alle regulatorischen Anforderungen für die Zulassung erfüllen. Lassen Sie uns gemeinsam die biologischen Risiken Ihrer Produkte systematisch angehen und klinisch fundierte, zuverlässige Ergebnisse erzielen. Kontaktieren Sie uns, um mehr darüber zu erfahren, wie wir Sie bei Ihrem nächsten Projekt unterstützen können.

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